SCHWESTER
2024-25
Jenseits der Stille
Frauen, Fürsorge, Alter, Unsichtbarkeit – eine Suche nach dem, was unsere Gesellschaft verdrängt.
Und warum Care-Arbeit überlebenswichtig und radikal ist.
Ich bin ausgetreten, da war ich keine zwanzig. Firmung, Erstkommunion, all das war selbstverständlich – es wurde nicht gefragt, ob man das will. Später, als ich begann, das System mehr zu hinterfragen, entstand ein großer Widerstand in mir: Missionierung, Gewalt gegen Kinder, gegen Frauen, jahrhundertelange Ausgrenzung. Eine Institution, die nicht nur predigte, sondern beherrschte. Die Frauen klein hielt, schwach sprach, still machte.
Ich bin ausgetreten, da war ich keine zwanzig. Firmung, Erstkommunion, all das war selbstverständlich – es wurde nicht gefragt, ob man das will. Später, als ich begann, das System mehr zu hinterfragen, entstand ein großer Widerstand in mir: Missionierung, Gewalt gegen Kinder, gegen Frauen, jahrhundertelange Ausgrenzung. Eine Institution, die nicht nur predigte, sondern beherrschte. Die Frauen klein hielt, schwach sprach, still machte.
„Du bist zu schwach“, hört eine Schwester, als sie sich für die Missionsarbeit meldet. Banaler Satz. Und doch: ein Echo, das viele Frauen kennen. Diese Strukturen, diese Einordnungen – sie sind menschengemacht. Wie alles hier.
Hemma dafür eine alte Garnitur heraus, findet einen passenden Rock – obwohl Monika vom jahrelangen Krebs schon sehr abgemagert ist.
Zwei Wochen nach unserem Fototermin und Interview stirbt sie. Eine Woche nach der Beerdigung führe ich die restlichen Gespräche – in Gesichtern, in Haltungen, in Sätzen liegt ihre Leerstelle. Monika fehlt. Ihre Energie, ihr Lachen, ihr Organisationstalent. Kaum eine hier, die nicht mehrfach betont, wie groß diese Lücke ist. Und doch geht es weiter. Es muss. Auch das gehört zu diesem Ort: weitertragen, was andere hinterlassen.
Sie hält Validationswokshops, zum Umgang mit Demenzkranken. Am Tischtennistisch im Hof legt sie ihre liebevoll aufbereiteten Workshopunterlagen vor mir aus.
Und da ist dann auch noch dieser Mann, den sie als ihre ‘große Liebe’ bezeichnet. Sie erzählt davon, wie sie ihn mit Hedwig auf der Straße als jungen Burschen aufgelesen hat, als er sich vor der Polizei versteckte. Wie sie ihn durch seine Alkoholsucht begleiteten. Wie sie ihm ein soziales Netzwerk aufbauten, auf dass er sich immer wieder stützen kann, wenn er mal abstürzt, einen Job, eine Wohnung braucht. Davon, wie er sie immer wieder mit seinem Verhalten und Worten verletzt, sie beschimpft; sie sagt: ‘Er ist krank’.
Und auch: “Es geht mir nur gut wenn es ihm gut geht.”
Und schließlich: “Ja wieso soll es uns denn anders gehen als anderen Frauen...”
Ich werde blass, wir haben zwei, dreimal längere Gespräche zuletzt vor einem Jahr geführt. Ihr Einfühlungsvermögen macht mir Angst, den Nagel hat sie punktgenau auf den Kopf getroffen. Ich dreh mich um und heule, weil ich mich plötzlich so gesehen fühle.
Paulis stirbt im Frühjahr 2025.